Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert
Schauspiel von Yishai Sivan Ben
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Dieses Stück beginnt nicht bei Nora, sondern bei uns. Es beginnt nicht mit der Erzählung eines toten Dramatikers über eine Frau der bürgerlichen Mittelschicht, die sich emanzipiert, sondern mit ihrem Kindermädchen, ihrem Hausmädchen und mit dem Paketboten. Es beginnt nicht im Haus, sondern vor dem Haus. Denn: »Zuerst und vor allem / Ist das eine Geschichte / Über ein Haus.« Die Autorin Sivan Ben Yishai unterzieht dieses stabile patriarchale Gedanken-Gebäude einem radikalen Perspektivwechsel. Die Angestellten, bislang so unhinterfragt zu Diensten und komfortabel wie das Inventar, thematisieren den Wert der eigenen Rolle, erhöhen ihren Sprechanteil und suchen den offenen Konflikt mit der Star-Protagonistin. »Falls es hilft, Maam, ich bin Das Hausmädchen / Ich bin nichts außer dem Geschlecht, mit dem ich geboren wurde / Plus meine Stellenbeschreibung.« Dieses Stück macht die Geschichte zu ihrer Geschichte. Zur Geschichte von Anne-Marie, die ihre eigenen Kinder verlassen hat, um für ihren Lebensunterhalt Noras Kinder großzuziehen. Zur Geschichte des Paketboten, der unerbittlich dafür kämpft, seine einzige Replik zu behalten, um Teil der Aufführung zu bleiben. Zur Geschichte von denen, die das Haus beliefern und nach der Vorstellung die Bühne reinigen, während die feministische Ikone Nora gegen den Gender Pay Gap kämpft. Eine Nora, die so verbissen an ihrer Rolle festhält, dass sie zu spät bemerkt, wie sich das Zentrum um sie herum leert. Die Angestellten verlassen als intelligenter Schwarm den Schauplatz und ziehen sich in den Untergrund zurück, in die Fußnoten des Stücks, in die Fußnoten der Geschichte. Vielleicht ist das der Ort, von dem aus die Verhältnisse neu gedacht und organisiert werden können. Sivan Ben Yishai kompostiert das alte Herrenhaus mit einer scharfsinnigen poetischen Analyse, die nicht nur auf die patriarchalen Mechanismen zielt, sondern auch auf einen Feminismus, der rein weiß und reich bleibt. Die intersektionale Öffnung beginnt beim »Personal«, bei der Diskussion des Rollenverzeichnisses. Die Autorin zettelt eine Revolte der Deklassierten an und erfindet dabei eine völlig neue, vielstimmige, durchlässige, luzide Erzählarchitektur. Das gelingt ihr mit so viel Leichtigkeit, Tempo und Humor, dass die ökologische Entsorgung des Herrenhauses nicht nur politisch nachhaltig ist, sondern auch unfassbar lustig.